Dennoch kenne ich etliche Menschen, die Descartes folgen und sich über ihr Denken definieren. Im Zeitalter der Individualisierung gilt jedoch auch:
Ich denke, was/wer ich bin.
Wenn wir uns zu viel auf Denken verlassen, beginnen wir auch unsere Wahrnehmungen zu zensieren: Es darf nur das sein, was wir verstehen und erklären können. Das führt zu einem reduzierten Bild von den anderen und vom Leben allgemein, aber insbesondere führt es uns weg von uns selbst. Unsere Intuition und unsere Instinkte verkümmern.
Immer mehr Menschen identifizieren sich mit ihren Gedanken über sich selbst: Sie erschaffen sich gedanklich ein Selbstbild.
Und wenn das, was sie von sich selbst denken, nicht gut (genug) ist, eine ganze Schar von Therapeuten, Berater und Trainer leben davon, ihnen zu verhelfen, 'bessere, glücklichere Menschen' zu werden.
Dieser unsägliche Trend zur Selbstoptimierung ist nicht nur kostspielig im Hinblick auf Geld und Lebenszeit, aber besonders schädigend für Ihr Selbstvertrauen, denn es nährt die Grundeinstellung zu sich selbst: Ich bin nicht OK.
Archetypen und Instinkte - übersehene Teilen unseres Selbst
Diese Identifizierung mit einem erdachten Selbstbild ist jedoch eine große Falle auf dem Weg zur Gelassenheit, inneren Frieden und Glück, den erstens stärkt dies unser Ego, unseren inneren Macher, und zweitens hindert es uns, all das zu werden, was wir noch werden könnten, uns es jedoch noch nicht ausdenken - es hindert uns daran, unser volles Potenzial zu entfalten.
Wenn wir dazu tendieren, alles zu intellektualisieren, werden wir auch leicht manipulierbar. Wir verlernen, auf unsere inneren Stimmen zu hören, und wir verschwenden unsere Lebensenergie dafür, ideologische Kriege um alle möglichen Themen zu führen. Die Radikalisierung des öffentlichen Diskurses führe ich auch auf diese verkürzte Wahrnehmung der Welt durch unseren Intellekt zurück. Die Lösung sehe ich jedoch nicht darin, mehr Sachinformationen zu den jeweiligen Themen zu liefern, sondern innerpsychische Vorgänge aufzuklären.
Wir leben in einer Zeit, in der in uns angelegte Instinkte, Bausteine einer inneren Software, Archetypen in der Sprache von C.G. Jung, intellektualisiert und rationalisiert werden. So zum Beispiel der Beschützer oder der in uns angelegte Instinkt, zu beschützen. Einige Menschen erleben sehr starke Emotionen, wenn sie Ungerechtigkeiten beobachten. Bislang habe ich die Ursache nur in früheren Erfahrungen gefunden. Aber manchmal konnten wir auf diesem Weg nicht wirklich zur Ursache kommen.
Heute verstehe ich, dass einige unter uns auf ihrem Lebensprogramm die Integration des Beschützers haben. Diese Menschen reagieren emotional besonders stark auf Ungerechtigkeiten und engagieren sich besonders stark in Hilfsprojekten, um schwache und benachteiligte Menschengruppen (und Tiere) zu schützen.
Unabhängig davon, dass diese Menschen unsere Anerkennung verdienen, mache ich die Erfahrung, dass viele dieser Menschen - während sie sich für andere einsetzen - an ihrer Substanz zerren. Das geschieht meines Erachtens deswegen, weil sie ihre eigentliche Aufgabe - den Beschützer-Instinkt in sich zu finden und diesen inneren Teil bewusst zu integrieren - ungelöst lassen.
Zu unserem Wachstum gehört auch, Archetypen, die bei uns aktiviert sind, zu integrieren. Ansonsten werden wir von ihnen ferngesteuert, wir werden durch die Sprache und Bilder leicht manipulierbar und wir verlieren Lebensenergie. Durch den subtilen Stress, der dadurch entsteht, dass wir in einem dauernden Konflikt zwischen Teilen unserer Persönlichkeit leben, werden wir auch für Krankheiten und Unfälle anfälliger.
Glückselig die Armen im Geiste; den ihnen ist das Himmelreich. - Mt 5,3
Wir leben in einer Welt des Denkens. Der Zugang zur eigenen Intuition fällt immer schwerer; Telepathie - früher eine gar nicht so seltene Kommunikationsform - ist heute, in unserer rationalistischen Welt, ein verstörendes Phänomen.
Wir glauben (nur) was wir sehen
Wir nehmen die Welt in erster Linie durch das Sehen wahr.
Sogar die Wahrnehmung muss heute intersubjektiv nachprüfbar sein. Wir nehmen die Welt daher in erster Linie durch das Sehen wahr. Das schränkt uns jedoch sehr ein. Eigentlich ist das Hören viel weiter entwickelt als das Sehen. Das Ohr des Menschen ist in der Lage, bis zu 400.000 Töne zu unterscheiden. Die Fähigkeit des Auges dagegen, Farbtöne zu unterscheiden, ist viel geringer.
Die Naturvölker kommen in der Natur zurecht mithilfe aller fünf Sinne.
Es ist wichtig und ein Zeichen der Achtsamkeit und Selbstachtung, der Unnatürlichkeit unserer Welt bewusst zu begegnen. Wir sind dafür nicht gemacht, und wir sind es uns selber schuldig, in dieser unnatürlichen Welt achtsam und behutsam mit uns selber umzugehen.
Das ganze Erziehungssystem ist darauf gerichtet, uns für ein erfolgreiches Leben in dieser unnatürlichen Welt vorzubereiten: Wir beginnen bereits im Kindergarten zu lernen, wir werden trainiert zu sehen und zu denken; ob spielerisch oder nicht, spielt in diesem Kontext keine Rolle.
Folgen dieser zunehmenden Entfremdung sind Depression, Autoimmunkrankheiten und zunehmende Gewalt gegenüber Menschen, Tieren und der Natur.
Seit wann denken Menschen so viel?
Dazu kommt noch die Reizüberflutung der modernen Welt. Um uns davor zu schützen und darin zu überleben, haben wir gelernt, uns abzustumpfen.
Die Intuition und das Vertrauen sind verloren gegangen. Es entsteht eine Scheinwelt, eine Parallelwelt, eine Kopfwelt, eine künstliche Welt. Die Intuition ist jedoch auch Teil vom kreativen Denken.
Denken ist immer ein Weiterdenken. - Hans Georg Gadamer
Wir versuchen, alles mit dem Kopf zu verstehen und zu lösen. Die Krisen werden dadurch jedoch nur noch größer.
Solange der Geist ausgefüllt und mit etwas beschäftigt ist - sei es der einer Hausfrau oder der des größten Wissenschaftlers - ist er klein und dürftig; und welches Problem er auch angehen mag, er wird dieses Problem nicht lösen können. Dagegen kann ein Geist, der unbeschäftigt ist, der Raum hat, das Problem angehen und lösen ..."- Jiddu Krishnamurti
Erfolgreiche Firmen, innovative Firmen haben verstanden, dass auf den Kopf allein wenig Verlass ist; Trainer und Berater haben ein neues Geschäftsfeld: Business EQ - Intuition im Betrieb fördern.
Die Diktatur des Verstandes
Viele Menschen meinen, sie müssten verstehen; insbesondere müssten sie verstehen, warum etwas so ist, wie es ist, warum jemand so denkt oder entscheidet, wie er oder sie es tut, warum etwas geschieht. Da gibt es die einen, die ständig nach dem Warum fragen, und die anderen, die für alles eine Erklärung finden. Das Unverständliche macht ihnen Angst. Mit Fragen und Antworten versuchen sie, die Welt und ihre Umwelt zu kontrollieren. Sie akzeptieren nur, was sie verstehen; alles andere wird infrage gestellt.
Toleranz bedeutet zu akzeptieren, auch was man nicht versteht.
Wenn der Kopf beginnt, das Sagen zu haben und die Seele / das Herz ignoriert, fühlen wir uns jedoch leer; wir fühlen, dass uns etwas fehlt. Davon lebt die Konsumgesellschaft, einschließlich der Gute-Gefühle-Verkäufer auf dem Markt der Trainer, Berater und Heiler, ob sie uns nun einen Porsche verkaufen, NLP oder anderes. Auch die Kirchen und manche Klöster haben dieses Geschäftsfeld für sich entdeckt.
Wenn es um Probleme und Blockaden geht, ist das klassische NLP wie eine Schmerztablette; es betäubt den Schmerz, und die Ursache findet einen anderen Kanal - ob über Probleme, Unfälle oder Krankheiten -, um sich auszudrücken.
Wir suchen nach Modellen, um zu verstehen. Das ist jedoch nicht nötig, oft sogar hinderlich; denn es kann unsere Entwicklung stoppen und lenkt unsere Energie von unserem Weg ab.
Erklärungen schränken unsere Wahrnehmung ein, denn das, was möglich ist, aber zur Erklärung nicht passt, hat es schwerer, gesehen zu werden oder sich zu manifestieren. Erklärungen zensieren das Mögliche.
Nicht Erklärungen helfen uns weiter, sondern unser Wille voranzuschreiten. - Paulo Coelho, Brida
In HUNA heißt es: Wirksamkeit ist Maß der Wahrheit. Was wirkt, ist wahr. Deswegen sind Modelle nur dann nützlich, wenn sie eine Veränderung bewirken (können). Um die Realität zu verstehen, sind sie nutzlos und hinderlich.
Wir versuchen sogar, das Leben zu verstehen. Manche versuchen es zwanghaft. Glücklich, wer es vermag, aus dem Verstandeskopf herauszugehen!
Zen-Geschichten können inspirierend sein und einen Weg heraus aus der Diktatur des Verstandes unterstützen.
Zerstreuung durch Zerstörung
Paradoxerweise führt die eiseitige Orientierung am Verstand dazu, dass sich Menschen weniger konzentrieren können. Das gilt für einzelne Fragen, wie auch für den Grundton des Lelbens. Das geschieht auf zwei Wegen: Erstens, wenn wir die Antwort auf einer Frage nur mittels Verstand suchen, geht ein Teil unserer Aufmerksamkeit dahin, Störende Einflüsse wie Intuition auszuschalten. Das mindert natürlich den Fokus auf die zu lösende Aufgabe.
Die Predominaz des Verstandes führt auch dazu, dass unsere Fähigkeit, und zu fokussieren, geringer wird: Von alters her helfen Menschen Rituale, sich innerlich zu sammeln. Heute verlieren viele Rituale ihr Bedeutung in unserem Leben, das wir sie mit dem Kopf hinterfragen und keinen Sinn darin finden. Wenn wir aufhören,Festtage, Beginn und Ende von Lebensabschnitten und Jahreszeiten zu feiern oder in die Kirche zu gehen, verlernen wir, uns auf etwas voll und ganz zu fokussieren. Rituale sind ein Training gegen die Zerstreuung. Wenn wir Rituale zerstören, zerstören wir eine Vase, worin sich under Geist und Herz sammeln können.
Auswege
Im Zen wird auch mit Koans meditiert. Ein Koan ist ein paradoxes Rätsel, zum Beispiel "Wenn man in beide Hände klatscht, entsteht ein Ton. Wie ist der Ton beim Klatschen einer Hand?" Solch ein Rätsel will das Denken gezielt an seine Grenze führen.
Wenn sich das Denken totgelaufen hat, ist der Mensch reif für Erleuchtung. - Deshimaru
Sicherlich gibt es auch ein anderes Denken, frei, offen, auch ergebnisoffen. Doch wird unser Denken oft durch Glaubenssätze eingezäunt. Glaubenssätze sind Aussagen, die uns einschränken, - z.B. Ohne Fleiß kein Preis, oder Gut Ding braucht Weile, oder in unserer Familie..... und egal, was jetzt kommt, es schränkt uns ein, weil wir uns so verhalten und denken, als ob das alles wahr wäre.
Wir bekommen viel mehr Möglichkeiten, Energie, Lebensfreude und Vertrauen, wenn wir solche Glaubenssätze bei uns entdecken und uns davon befreien. Aber wie?
Nun, das Erste ist, sie zu entdecken. Oft werden wir von anderen darauf aufmerksam gemacht, obwohl ich immer wieder beobachte, dass Menschen ihre Glaubenssätze lieben und gar nicht mögen, wenn man sie darauf hinweist.
Ich mag jedoch meine Glaubenssätze herausfinden; ein möglicher Weg dazu sei hier skizziert:
Welche Aussagen mache ich, die mir dazu dienen, mich stark zu fühlen? Das sind Glaubenssätze! Also zum Beispiel: Ich kann vieles. Egal, was für eine Aufgabe ich habe, mir fällt was ein, ich finde einen Weg. Mit meinen Gaben kann ich Menschen helfen. Ich bin anpassungsfähig, ich komme mit wenig zurecht.
Wenn diese Aussagen emotional beladen sind, also keine reine Beschreibung von Situationen, sind es Glaubenssätze, die dazu dienen, eine Schwäche, ein Ohnmachtsgefühl zu verhindern und das ICH aufzubauen.
Das gilt jedoch auch für negative Glaubenssätze: Ich bin ungeschickt. Ich bin nicht musikalisch etc. Wenn ich mich dahinter verstecke, will ich ebenfalls Ohnmacht vermeiden. Indem ich mir ein solches Etikett aufklebe, fühle ich mich nicht mehr schwach. "Ich bin halt so, ich bin aber nicht schwach."
Darauf kommt es bei den positiven wie den negativen Glaubenssätzen an:
Mich nicht schwach zu fühlen.
Um jedoch in einer Welt des Denkens menschlich und lebendig zu bleiben, müssen wir uns das Schwach-Sein zurückerobern.
Gerne will ich mich meiner Schwachheit rühmen, denn wenn ich schwach bin, bin ich stark. - Paulus
Wenn ich meine Schwachheit aushalte, beginnt eine Kraft durch mich zu fließen, deren Quelle jenseits meiner eigenen Ressourcen liegt. Ich komme in den Flow. Ich bin nicht mehr, der, der denkt, sondern ES denkt.
Gott ist der Schöpfer und er hat uns als sein Ebenbild gemacht. Wir sind als Schöpfer geboren; wer sich weigert, seine Kreativität einzusetzen, entfernt sich vom Leben und von Gott; denn der schöpferische Zustand ist Gott (Krishnamurti).
Als nun Paulus einen Haufen Reisig zusammenraffte und aufs Feuer legte, fuhr wegen der Hitze eine Schlange heraus und biss sich an seiner Hand fest. Als aber die Leute das Tier an seiner Hand hängen sahen, sprachen sie untereinander: Dieser Mensch muss ein Mörder sein, den die Göttin der Rache nicht leben lässt, obgleich er dem Meer entkommen ist. Er aber schlenkerte das Tier ins Feuer, und es widerfuhr ihm nichts Übles. Sie aber warteten, dass er anschwelle oder plötzlich tot umfallen würde. Als sie nun lange gewartet hatten und sahen, dass ihm nichts Schlimmes widerfuhr, änderten sie ihre Meinung und sagten, er wäre ein Gott. (Apg 28)
Impulse von Rudolf
Zitate
Wenn du es begreifst, dann ist es nicht Gott. - Augustinus
Neither observation nor reason are authorities. Intellectual intuition and imagination are most important, but they are not reliable: they may show us things very clearly, and yet they may mislead us. They are indispensable as the main sources of our theories; but most of our theories are false anyway. The most important function of observation and reasoning, and even of intuition and imagination, is to help us in the critical examination of those bold conjectures which are the means by which we probe into the unknown.
Every solution of a problem raises new unsolved problems; the more so the deeper the original problem and the bolder its solution. The more we learn about the world, and the deeper our learning, the more conscious, specific, and articulate will be our knowledge of what we do not know, our knowledge of our ignorance. For this, indeed, is the main source of our ignorance--the fact that our knowledge can be only finite, while our ignorance must necessarily be infinite.”
- Karl Popper, 'Conjectures and Refutations'.